Das Wichtigste in Kürze
- Das Smartphone versorgt uns täglich mit vielen nützlichen Informationen. Gleichzeitig setzt es uns vielen Reizen aus, die wir verarbeiten müssen. Bis zu einem gewissen Maß können wir damit gut umgehen.
- Ein übermäßiger Handykonsum kann uns allerdings stressen und überfordern – mit negativen Folgen auf unser Verhalten und unsere Gesundheit.
- Im Interview erklärt Psychologe Prof. Dr. Dirk Windemuth, wie unser Gedächtnis mit zu viel Information umgeht und welches Suchtpotenzial das Smartphone mit sich bringt.
- Mithilfe einer Checkliste können Sie herausfinden, ob Sie zur Handysucht neigen.
- Praktische Tipps helfen dabei, den eigenen Handykonsum zu reduzieren.
Das Smartphone ist allgegenwärtig. Wir tragen es von morgens bis abends am Körper; die räumliche Trennung fällt uns schwer. Zu wichtig scheinen die Informationshäppchen, die im Sekundentakt unser Leben bereichern. Doch wie viele Informationen können wir überhaupt aufnehmen und verarbeiten? Was, wenn uns der ständige Griff zum Handy überfordert oder gar krank macht? Wir geben Tipps, wie Sie Ihr analog-digitales Gleichgewicht wiederfinden können.
Wie oft haben Sie heute schon auf Ihr Handy geschaut? Fünf Mal? Zehn Mal? 30 Mal? Und wie viele Stunden kommen da am Tag wohl zusammen? Sie werden sagen: Es läppert sich! Und damit sind Sie nicht allein. Das Handy scheint uns durch unseren Alltag zu führen:
Morgens klingelt der Handywecker. Es folgt der Blick auf den digitalen Kalender. Schnell noch die Termine für den heutigen Tag mit der Familie klären, nebenbei die Wetter-App checken, dann den Stauwarner oder den Streckenagenten der Deutschen Bahn. Auf dem Weg zur Arbeit die Lieblingssongs hören und währenddessen nachschauen, was Freunde und Bekannte Neues gepostet haben. Nachrichten lesen, Mails beantworten, Kontostand prüfen.
Dann die große Freude: neue Kommentare und Likes. Aber von wem? Ein Wisch nach links, ein Wisch nach unten, und schon ist man wieder voll drin – in den digitalen Klauen des Handys.
Kenn' ich, werden Sie vielleicht sagen. Dann fragen Sie sich bestimmt auch hin und wieder: Wer saß mir in der Bahn eigentlich gegenüber? – Nichts wahrgenommen! Welche Dokumente wollte ich gerade abspeichern? – Vergessen! Was hat die Kollegin im Meeting gerade erzählt? – Sie haben es nicht registriert! Weil eben noch eine Nachricht aufpoppte, die Sie gelesen haben. Sie waren gedanklich woanders.
Auch Multitasking hat Grenzen
Wir sind zwar multitaskingfähig, aber nur, wenn es sich um automatisierte Routinetätigkeiten handelt. So der wissenschaftliche Konsens. „Zum Beispiel können wir spazieren gehen und uns gleichzeitig unterhalten. Aber eine Nachricht tippen und unterdessen im Detail erfassen, was der Gesprächspartner sagt, funktioniert nicht. Gesprächsinhalte werden verloren gehen“, sagt etwa der Psychologe Prof. Dr. Dirk Windemuth, der das Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) leitet.
Wir können einen besonderen Moment – zum Beispiel die ersten Schritte eines Kindes – mit allen Sinnen intensiv erleben. Oder wir fangen den Moment mit Bildern oder Videos ein. Wir können uns also entweder auf das Geschehen konzentrieren oder darauf, ob wir die Kamera im richtigen Winkel halten. Beides geht nicht. Es bleibt immer etwas auf der Strecke.
Wenn das Gedächtnis kapituliert
Wenn das Smartphone omnipräsent ist, fluten wir unser Gehirn mit vielen Informationen und Reizen. Diese müssen wir zusätzlich zu den Informationen verarbeiten, die wir aus der realen Welt empfangen. Bis zu einem gewissen Punkt ist das erstaunlicherweise gut möglich. Unser Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Es filtert, sortiert und speichert Eindrücke und Erlebtes im Gedächtnis ab. Aber irgendwann ist es überfordert, es „läuft über“. Sind wir dauerhaft überreizt, kann das schwerwiegende Auswirkungen auf unser Verhalten und unsere Gesundheit haben.
3 Fragen an … Prof. Dr. Dirk Windemuth, Psychologe und Leiter des Instituts für Arbeit und Gesundheit (IAG) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
Wie viele Informationen passen in unser Kurzzeitgedächtnis?
Unser Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis hat begrenzte Ressourcen und Platz für nur fünf bis neun Informationseinheiten. Diese Informationen werden verarbeitet und vorübergehend gespeichert, etwa 20 Sekunden lang. Zum Beispiel: Wo habe ich meine Tasche abgestellt? Welchen Termin muss ich noch zusagen? Oder wie lautet der gerade zugeschickte Freischaltcode? Danach werden die Informationseinheiten gelöscht, um wieder Platz für Neues zu schaffen. Oder sie gehen ins Langzeitgedächtnis über.
Mithilfe unseres Smartphones füttern wir unser Kurzzeitgedächtnis in hohem Tempo mit unendlich vielen Informationseinheiten, die gar nicht alle verarbeitet werden können. Noch dazu werden sie schlechter verarbeitet, wenn das Gehirn keine Pausen zwischen den einzelnen Informationen hat. Dieser Prozess erschöpft uns und ist darüber hinaus völlig sinnlos. Denn die meisten dieser Informationen gehen nachweislich verloren.
Wie beeinflussen uns Push-Meldungen?
Push-Meldungen setzen uns permanent unter Druck, weil Sie uns an Unerledigtes erinnern: Wenn Sie eine Aufgabe gerade nicht erledigen können und auf später verschieben müssen, dann kann es gut sein, dass Ihre Gedanken in den nächsten Stunden, Tagen oder gar Wochen immer wieder um dieses Thema kreisen, bis Sie gedanklich einen Haken daruntersetzen. Denn mit unerfüllten Aufgaben beschäftigt sich unser Gehirn wesentlich länger und ausdauernder als mit abgeschlossenen. Ein erledigtes To-do verschwindet dagegen in der Regel relativ schnell wieder aus unserem Gedächtnis. In der Psychologie spricht man vom "Zeigarnik-Effekt".
Das Smartphone unterstützt dieses Phänomen. Denn in dem Moment, in dem Sie eine Push-Nachricht erhalten oder wieder einmal ihr Handy aktivieren, werden Sie immer und immer wieder daran erinnert, dass noch unerfüllte Aufgaben auf Sie warten. Diese wiederkehrenden Erinnerungen setzen uns enorm unter Druck.
Kann man handysüchtig sein?
Handys haben in der Tat ein hohes Suchtpotenzial. Die digitale Welt, die sich uns mit nur einem Klick eröffnet, bietet ein so breites Spektrum an Möglichkeiten, dass man gedanklich regelrecht in diese Welt hineingesogen wird. Gerade wer viel in den sozialen Medien unterwegs ist, kann schnell süchtig werden nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zuspruch. Denn – ist die Reaktion auch noch so klein – bei jedem neuen „Like“, „Share“ oder „Follower“ schüttet unser Gehirn vermehrt das Glückshormon Dopamin aus. Aber auch die Angst, ohne das Smartphone keine Kontrolle über den Alltag mehr zu haben, ohne das Handy in eine innere Leere zu fallen oder etwas zu verpassen, lässt viele das Gerät nur schwer aus der Hand legen.
Die Symptome der Handysucht können sich auf vielfältige Weise zeigen und sind individuell ganz verschieden: von der gedanklichen Fixierung über Niedergeschlagenheit bis hin zu analogen Entzugserscheinungen wie Zittern, Herzrasen oder körperliche Unruhe.
Zum Steckbrief von Prof. Dr. Dirk Windemuth
Zur Themenseite „Psychische Belastung und Gesundheit bei der Arbeit“ des IAG
Übermäßige Smartphone-Nutzung und ihre Folgen
Ein übermäßiger Handykonsum kann unser Verhalten beeinträchtigen und Auswirkungen auf unsere Arbeit, unser soziales Umfeld und auf unsere Gesundheit haben. Was passieren kann, haben wir hier in einigen Punkten zusammengefasst:
- Je mehr Informationsquellen um unsere Aufmerksamkeit wetteifern, desto schwieriger ist es, sich zu fokussieren und einen Gedanken aufrechtzuerhalten. Wir sind unkonzentrierter, können weniger lang bei einer Sache bleiben. Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer. Es kommt zu Fehlern, die Effektivität unserer Arbeit nimmt ab.
- Gerade im Straßenverkehr und beim Bedienen von Fahrzeugen ist die Ablenkung durch das Smartphone gefährlich – das belegen die Unfallzahlen.
- Wir sind zwar in der Lage, mit Gedankenbrüchen klar zu kommen und von einem Thema in ein anderes zu wechseln. Aber es braucht eine Weile, sich gedanklich zu vertiefen. Das dauert mehrere Minuten. Nach jeder kleinen Unterbrechung durch den Blick aufs Handy müssen wir wieder neu in unser eigentliches Thema einsteigen. Das ist anstrengend und macht unser Handeln ineffizient.
- Ob an der Supermarktkasse oder an der Haltestelle: Wir langweilen uns schnell. Denn wir sind daran gewöhnt, ständig mit neuen Infos versorgt zu werden. Ist das gerade nicht der Fall, greifen wir automatisch wieder zum Handy. Ein Teufelskreis.
- Immer öfter fühlen wir uns durch äußere Reize gestört. Wenn uns zum Beispiel eine Person unvermittelt anspricht, wir aber gerade in der digitalen Welt vertieft sind, wirkt unsere Reaktion unausgeglichen und gereizt.
- Die allgemeine Erwartungshaltung, möglichst bald auf Nachrichten zu reagieren und zu antworten, setzt uns unter Druck. Die vermeintlich ständige Erreichbarkeit führt zu Stress- und Erschöpfungssymptomen.
- Die Angst, etwas zu verpassen, oder das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zuspruch kann zu Suchtverhalten führen und äußert sich beispielsweise in der gedanklichen Fixierung auf das Smartphone sowie in Unruhezuständen.
- Seit das Smartphone Teil unseres Alltags ist, haben wir zu unserer analogen Welt eine weitere Welt hinzugewonnen. Doch die Zeit, die wir digital nutzen, steht uns nicht zusätzlich zur Verfügung. Sie wird an anderen Stellen abgezogen – von der gemeinsamen Zeit mit Familie und Freunden, von der Arbeit, Freizeit oder gar vom Schlaf.
- Wer spät abends oder kurz vor dem Schlafengehen das Handy nutzt, stört den inneren Rhythmus und beeinflusst den gesunden Schlaf. Schlafstörungen sind vorprogrammiert.
- Durch den wiederholten und langen Blick aufs Smartphone wird der Nacken unnatürlich falsch belastet, was Kopfschmerzen, Rückenverspannungen und Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule zur Folge hat (HWS-Syndrom, Handynacken).
Woran merke ich, dass ich handysüchtig bin?
Je mehr der folgenden Aussagen auf Sie persönlich zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ihr Handykonsum zu hoch ist:
- Ich verspüre einen Zwang, immer wieder aufs Handy zu tippen.
- Ohne Handy aus dem Haus zu gehen ist für mich unmöglich.
- Ich schaue, auch während ich gehe, ständig aufs Handy.
- Ich werde nervös, wenn ich das Handy nicht am Körper trage.
- Ich sehne mich nach dem nächsten Like, Share oder Follower.
- Meine Gedanken kreisen darum, welche Info wohl als Nächstes eingehen wird.
- Meine tägliche Bildschirmzeit kommt mir intuitiv zu viel vor.
- Ich bilde mir oft ein, das Handy vibriert oder klingelt.
- Ich erlebe Dinge immer öfter am Bildschirm als in der realen Welt.
- Ich langweile mich schnell, wenn ich gerade nicht aufs Handy schaue.
Wie reduziere ich meinen Handykonsum?
Um Ihre Handyzeit zu verringern, müssen Sie Ihre neuen Gewohnheiten durchbrechen. Räumen Sie in Ihrer digitalen Welt auf und nutzen Sie Ihr Smartphone jedes Mal ganz bewusst. Hier haben wir einige Tipps, wie das gelingen kann:
- Beobachten Sie sich und erkennen Sie ungesunde Routinen: In welchen Situationen, warum und wie oft schaue ich aufs Handy?
- Überprüfen Sie Ihre Bildschirmzeit in den Handyeinstellungen und versuchen Sie, diesen Wert kontinuierlich zu senken. Wie viel Bildschirmzeit für Erwachsene noch als gesund eingestuft wird – darüber gibt es aktuell allerdings noch keinen wissenschaftlichen Konsens.
- Legen Sie handyfreie Räume oder Zonen fest (zum Beispiel kein Handy auf der Couch, am Schreibtisch oder auf dem Beifahrersitz).
- Machen Sie es sich möglichst unbequem: Legen Sie das Handy außer Sicht- und Reichweite. Wenn Sie erst aufstehen müssen, um den Handybildschirm zu aktivieren, überlegen Sie es sich garantiert zweimal.
- Unbequem wird es auch, wenn das Handy ganz ausgeschaltet ist und Sie das Gerät erst „hochfahren“ und dazu den SIM-Code eingeben müssen.
- Legen Sie handyfreie Zeiten oder Regeln fest (zum Beispiel kein Handy beim Abendessen oder beim Treppenlaufen).
- Legen Sie eine alternative Tätigkeit für Ihre handyfreie Zeit fest, zum Beispiel einen Spaziergang.
- Halten Sie die Erwartungshaltung anderer gering und antworten Sie nicht immer sofort auf Nachrichten.
- Lassen Sie es innerlich zu, ab und zu nicht erreichbar zu sein. Vielleicht erinnern Sie sich an die Zeit, in der es noch keine Smartphones gab. Im seltenen Notfall erreicht man Sie auf anderen Wegen.
- Nutzen Sie einen analogen Wecker.
- Checken Sie Ihre Social-Media-Kanäle zu festgelegten Zeiten am Laptop oder am Rechner statt am Handy.
- Deaktivieren Sie Lesebestätigungen.
- Deaktivieren Sie Push-Signale und Push-Meldungen.
- Bestellen Sie unnötige Newsletter ab.
- Löschen Sie die ein oder andere App, die Ihnen Zeit raubt.
- Legen Sie über Ihre Handyeinstellungen Zeitlimits für Apps fest.
- Schalten Sie hin und wieder den Flugmodus ein, vor allem nachts.
- Legen Sie Ihr Smartphone in ein „Handygefängnis“ – eine Box, die sich nur nach voreingestellter Zeit wieder öffnen lässt.
Schon mal gehört?
- Digital Overload: Durch den ununterbrochenen Fluss an Informationen und die ständige Erreichbarkeit auf allen Kanälen werden alle unsere Sinne kontinuierlich überreizt.
- Digitale Demenz: Überzogene Bezeichnung nach Manfred Spitzer. Namen, Nummern, Adressen, Wegbeschreibungen – alles ist auf digitalen Geräten abgespeichert. Wir verlassen uns auf die kleinen Helfer und vernachlässigen dabei unser Gedächtnis und andere Fähigkeiten. Kinder und Jugendliche lernen verschiedene Dinge erst gar nicht mehr, zum Beispiel das Kartenlesen.
- Digital Detox: Auch digitale Entgiftung oder digitales Fasten genannt. Steht für den achtsamen und bewussten Umgang mit dem Smartphone und mit digitalen Medien.
- Brain Drain: Das Handy entzieht bereits unsere geistigen Ressourcen, selbst wenn es nur in Sichtweite liegt. Warum? Weil wir der Versuchung widerstehen müssen, darüber nachzudenken, welche Informationen wir theoretisch als Nächstes empfangen könnten.
- Singletasking: Trend, sich nur auf eine Aufgabe zu fokussieren, Aufgaben nach und nach abzuarbeiten. Das Gegenteil von Multitasking, wenn wir mehrere Dinge gleichzeitig erledigen wollen.
- Ringxiety: Die Einbildung, das Handy klingeln zu hören.
- Phantom-Vibrieren: Aufgrund kleiner Muskelzuckungen die Einbildung, das Handy vibriere, selbst wenn wir es gar nicht am Körper tragen.